Neuer Vertrag für ambulantes Operieren (AOP): Vor Komplikationsgefahren durch die Auslagerung stationärer Eingriffe in den ambulanten Bereich warnen das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK)

 (Frankfurt a. M., 4. Mai 2023) Alarmiert sind Kinderkardiologen und Patientenorganisationen im Bereich der Angeborenen Herzfehler (AHF), weil im Zuge der Umsetzung des MDK-Reformgesetzes bei Kindern ab Erreichen des ersten Lebensjahrs Herzkatheter-Eingriffe, sogenannte Herzkatheteruntersuchungen, nicht mehr stationär, sondern ambulant durchzuführen und abzurechnen sind. „Diese Neuregelung für ambulant durchzuführende Eingriffe bei Kindern hat gravierende Auswirkungen auf das Wohl und die Sicherheit von Kindern mit angeborenem Herzfehler“, warnt der Kinderkardiologe Prof. Dr. med. Matthias Gorenflo, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler am Universitätsklinikum Heidelberg in einer gemeinsamen Pressemeldung mit dem Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF). Bei Kindern mit angeborenem Herzfehler bündeln sich Besonderheiten des Alters, der Herzerkrankung sowie der Gefäßverhältnisse zu einer in mehrfacher Hinsicht schwierigen Konstellation, die nicht mit der einer Herzkatheteruntersuchung von erwachsenen Patienten mit erworbenen Herzerkrankungen vergleichbar ist. „Aus medizinischen Gründen ist deshalb immer angezeigt, Kinder mit angeborenem Herzfehler vor und nach der Herzkatheteruntersuchung stationär zu überwachen. Auch die durch die altersbedingt eingeschränkte Kooperation der Patienten verursachten unabsehbaren Risiken sprechen klar gegen eine ambulante Durchführung“, betont der DGPK-Präsident Gorenflo.

Jährlich kommen 8.700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, von denen dank des herzmedizinischen Fortschritts heute über 90 Prozent das Erwachsenenalter erreichen und mit ca. 330.000 Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) eine stetig wachsende Patientengruppe bilden. Pro Jahr werden in Deutschland über 8.800 Herzkatheteruntersuchungen und -Interventionen bei Patientinnen und Patienten mit AHF durchgeführt, davon rund 23 Prozent im Erwachsenenalter, alle übrigen bei Neugeborenen und Kindern (Deutscher Herzbericht 2021). „Eine Herzkatheteruntersuchung stellt durch das Einbringen eines dünnen Kunststoffschlauchs in das Gefäßsystem, die bei Kindern notwendige Sedierung/Narkose und die Röntgenstrahlen einen invasiven Eingriff dar, der einer stationären Überwachung vor und nach der Prozedur bedarf“, betont auch Prof. Dr. med. Stefan Hofer, Elternvertreter herzkranker Kinder im Vorstand der Deutschen Herzstiftung, die Mitgliedsorganisation des ABAHF ist. „Denn bei arteriellen und venösen Zugängen im Zuge des Eingriffs, nach Sedierung oder Narkose und Einbringung von Flüssigkeiten wie Kontrastmitteln ist mit möglichen Komplikationen während und nach der Herzkatheteruntersuchung zu rechnen“, erklärt Prof. Hofer, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin am Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern.

AOP-Katalog: Medizinische Gründe für stationäre Durchführung invasiver Eingriffe unzureichend abgebildet

Die Neuregelung durch das MDK-Reformgesetz ändert für bestimmte medizinische Prozeduren die bisherigen Modalitäten, ob sie weiterhin stationär oder von nun an ambulant durchzuführen sind. Mit dem Ziel, im Gesundheitswesen Kosten einzusparen, haben der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Erweiterung des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen (AOP) und eine Neufassung des AOP-Vertrags umgesetzt (1). Diese Maßnahmen erfolgten im Rahmen der Umsetzung des gesetzlichen Auftrags aus dem MDK-Reformgesetz von 2020. Muss ein ambulant durchzuführender Eingriff dennoch stationär erfolgen, muss die Klinik für die Finanzierung der Leistung durch die Krankenkassen vorab begründen, warum die Patientin oder der Patient nach dem Eingriff stationär versorgt werden muss. Dafür stehen den Ärzten einheitliche fachlich-medizinische Kriterien, so genannte Kontextfaktoren, zur Verfügung. Diese Kontextfaktoren, die eine stationäre Durchführung invasiver Maßnahmen im Kindesalter erlauben, sind nach Einschätzung des Kinderkardiologen Prof. Gorenflo jedoch „nur rudimentär“ und bildeten „nicht die eigentlichen medizinischen Gründe für die stationäre Durchführung invasiver Maßnahmen ab“.

Ärztinnen und Ärzte müssen entscheiden, ob eine invasive Therapie auch ambulant durchführbar ist

Vor allen Dingen müsse die Entscheidung, ob eine invasive Therapie auch ambulant durchführbar ist, immer bei den Ärzten und Ärztinnen liegen und aufgrund der individuellen Situation des Patienten oder der Patientin erfolgen, so die Forderung der Vertreter von DGPK und ABAHF. „Wer ernsthaft glaubt, dass ein dreijähriger Patient nach einer Punktion der Leistenschlagader zur Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung am gleichen Tag aus der Klinik entlassen werden kann, nimmt hohe Risiken für diese Kinder in Kauf“, warnt DGPK-Präsident Gorenflo, dessen Sorgen für das Wohl der jungen Patientinnen und Patienten auch Vertreter anderer Fachgesellschaften in der Kinder- und Jugendmedizin teilen. Es bleiben zahlreiche offene Fragen: „Wer haftet für das Versterben im Rahmen einer Nachblutung? Wer haftet für die nach der Prozedur auftretende Aspiration nach Sedierung, wenn keine stationäre Überwachung gegeben ist?“, gibt der Heidelberger Kinderkardiologe und Klinikdirektor zu bedenken.

Über-80-Jährige sind von der Neuregelung der Ambulantisierung stationärer Eingriffe ausgenommen – warum nicht auch die Kinder?

Besonders alarmiert sind Kinderkardiologen von dem Hinweis des GKV-Spitzenverbands im Kontext des AOP-Katalogs, dass bei Vorliegen medizinischer oder sozialer Gründe, die von den Kontextfaktoren abweichen und „die dazu führen, dass die Versorgung des Patienten in der Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist, […] diese Gründe bei einer stationären Durchführung der Leistung fallindividuell darzustellen [sind]“ (GKV-Spitzenverband) (1). „Konkret bedeutet das: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die ambulante Durchführung von Herzkatheteruntersuchungen bei Kindern medizinisch vertretbar und die Regel ist“, so DGPK-Präsident Gorenflo. Er sieht dadurch die Sicherheit der Kinder gefährdet, für die von nun an diese Regelung gelten soll. Hinzu kommt, dass Über-80-Jährige von den neuen Regeln der Ambulantisierung von bisher stationären Prozeduren ausgenommen sind, die Neuregelung aber für alle Kinder, sobald sie das erste Lebensjahr erreicht haben, gilt. „Für jede stationäre Überwachung nach einem invasiven Eingriff im Kindesalter muss faktisch eine Begründung individuell erstellt werden“, erklärt Prof. Gorenflo. Dies sei für Kinder medizinisch nicht zu rechtfertigen, „völlig realitätsfremd“ und „bürokratisch ein Alptraum“ für die behandelnden Ärzte und Ärztinnen in den ohnehin überlasteten Kinderkliniken. Kinder müssten umgehend, so die Forderung von DGPK und ABAHF, wie die Über-80-Jährigen automatisch vom Zwang zur ambulanten Durchführung bisher stationärer Eingriffe ausgenommen werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) und das Aktionsbündnis für Angeborene Herzfehler (ABAHF) appellieren an die Politik, allen voran an das Bundesministerium für Gesundheit, eine Korrektur des AOP-Vertragstextes und eine grundsätzliche Herausnahme der Kinder aus dem AOP-Katalog analog der über 80-jährigen Patientinnen und Patienten vorzunehmen. „Das Patientenalter und die Einschätzung des behandelnden Arztes oder der Ärztin müssen genügen, um eine stationäre Durchführung zu rechtfertigen“, so die Forderung der Vertreter von ABAHF und DGPK.

(wi)

Literatur

  • Bundesverband Herzkranke Kinder e. V. (Hg.), Leitfaden: Herzkatheter bei Kindern zur Diagnostik oder Therapie, Aachen 2015, 2. Aufl.
  • Deutsche Herzstiftung (Hg.), Deutscher Herzbericht 2021, Frankfurt a. M. 2022

Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF)

Um in der Öffentlichkeit mit einer Stimme für eine bessere Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und deren Familien einzutreten und ihnen noch effektiver zu helfen, haben sich 2014 auf Initiative der Deutschen Herzstiftung e. V. sechs bundesweit tätige Patientenorganisationen zum „Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler“ (ABAHF) zusammengeschlossen. Die Organisationen sind: Bundesverband Herzkranke Kinder e.V., Bundesverein Jemah e.V., Fontanherzen e.V., Herzkind e.V., Interessengemeinschaft Das Herzkranke Kind e.V. und die Kinderherzstiftung der Deutschen Herzstiftung e.V.

Etwa 8.700 Neugeborene mit angeborenem Herzfehler kommen in Deutschland jährlich zur Welt. Heute erreichen rund 90 % dieser Kinder dank der Fortschritte der Kinderherzchirurgie und Kinderkardiologie das Erwachsenenalter. Die Zahl der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) wird auf über 330.000 geschätzt. Zur Homepage: https://www.abahf.de/

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK)

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. ist eine gemeinnützige medizinische Fachgesellschaft mit dem Ziel der Förderung von Wissenschaft, Diagnostik und Therapie sowie der Prävention von angeborenen und erworbenen Herz- und Kreislauferkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Sie nimmt Belange der Lehre (Ausbildung, Fort- und Weiterbildung) sowie die Erstellung von   Leitlinien wahr. Zur Homepage: https://www.dgpk.org

 Prof. Dr. med. Matthias Gorenflo,

Präsident der Deutschen Gesellschaft für

Pädiatrische Kardiologie und

Angeborene Herzfehler (DGPK)

(Foto: Universitätsklinikum Heidelberg)

Prof. Dr. med. Stefan Hofer,

Elternvertreter herzkranker Kinder im Vorstand der Deutschen Herzstiftung

(Foto: Carsten Büll)

Informationen:

Aktionsbündnis Angeborene Herzfehlter (ABAHF)

c/o Deutsche Herzstiftung e.V.

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